Mein persönliches Unwort des Jahres 2021 hat nichts mit Covid-19 zu tun. Es ist Emetophobie. Kein anderer Begriff hatte das Jahr 2021 für mich so stark geprägt wie dieser. Meine Diagnose habe ich erst nach über einem Jahr Psychotherapie von meiner bis dato vierten psychiatrischen Anlaufstation bekommen.

Ich habe online gelesen, dass diese spezielle Phobie vielen Ärzten nicht bekannt ist, wodurch es nur selten zu einer solchen Diagnose kommt. Mit Sicherheit war dies auch bei mir der Fall. Ich war zuerst zwei oder drei Monate in ambulanter Behandlung in einem Krankenhaus. Danach folgten mehrere Monate in einer Tagesklinik und darauf folgten wiederum über drei Monate in der Psychiatrie auf einer coronabedingt mehr oder weniger offenen Station.

Keine dieser Anlaufstationen hat mir eine Emetophobie diagnostizieren können, obwohl dort selbstverständlich viele verschiedene hoch qualifizierte Psychotherapeuten und Psychiater arbeiten. Mir wurde eine Depression, eine Agoraphobie und zwei Störungen diagnostiziert, was auch alles zutrifft. Allerdings bringt mich nur ein Gefühl, eine Angst, diese verdammte Emetophobie wirklich um den Verstand. Nur konnte genau diesem Gefühl keiner einen Namen geben.

Als ich aus der Psychiatrie ohne große Erfolge entlassen wurde, besorgte ich mir selbstverständlich schnellstmöglich eine neue Therapie. Erst diese vierte Anlaufstation konnte eine Diagnose stellen. Als ich meiner Mutter davon erzählte, sagte sie mir nur, dass dies absolut passen würde. Es hat einfach klick gemacht und niemand konnte sich erklären, wie kein anderer Arzt darauf kommen konnte. Seitdem versuche ich, mit meiner Angst zu leben und meine Situation zu verbessern. Dieser Beitrag soll nicht nur mir selber, sondern auch anderen Betroffenen und Familienangehörigen helfen.

Was ist die Emetophobie?

Ich kann dir zumindest was die Begriffsdefinition betrifft, bestimmt nichts Neues sagen. Du hast sicherlich schon selber unzählige Webseiten besucht, Nachrichtenartikel gelesen und der Arzt deiner Wahl hat dir diese Krankheit mit Sicherheit selber schon erklärt. Allerdings möchte ich das trotzdem noch einmal mit eigenen Worten zusammenfassen.

Die Emetophobie ist eine psychische Erkrankung, bei der der Patient eine unnatürliche und besondere Angst vor dem Erbrechen hat. Das betrifft nicht nur die Situation des Erbrechens selber. Also wenn man zum Beispiel zu viel Alkohol getrunken hat und man weiß das man erbrechen muss, dann ist das meistens natürlich kein schönes Gefühl, allerdings hat man normalerweise davor keine starke Angst. Das ist nicht das, was eine Emetophobie ausmacht, auch wenn man natürlich als Betroffener in dieser Situation extreme Panik hätte.

Das betrifft eine starke Angst bereits bei dem Gedanken an Erbrochenes oder dem Vorgang des Brechens. Ebenfalls vermeiden es betroffene Personen zum Beispiel Aktivitäten auszuführen, bei dem so etwas vorkommen kann. Extrem anstrengender Sport, viel Alkohol, bestimmtes Essen. Bei all diesen Situationen geht ein Betroffener oft in die Vermeidung. Alleine die Konfrontation mit dem Thema per se kann Angstzustände auslösen.

Die möglichen Situationen sind endlos

Ich habe zum Beispiel aufgehört zu zählen, wie oft ich das Schreiben an diesem Artikel unterbrochen habe, weil ich einfach keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Meine Hände fangen an zu schwitzen, mir wird unwohl, ich bekomme Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten. Außerdem habe ich immer starke Probleme mit dem Schlucken. Wenn ich nicht sofort in die Vermeidung gehe, was man ja unter keinen Umständen machen sollte, werden die Symptome schlimmer und andere Symptome wie starke Übelkeit oder Hyperventilation treten auf.

Aber auch in anderen Situationen habe ich und auch viele andere Betroffene Probleme. Das sind teilweise sogar solche normalen Situationen, dass meine Mutter, die mich wirklich sehr stark unterstützt, sich nicht einmal vorstellen kann, dass ich dort Probleme habe.

Vor ein paar Monaten war ich einmal bei ihr Zuhause und wir haben zusammen einen Film im Free-TV geguckt. Als Werbepause war, hat sie auf einen anderen Sender gewechselt. Es war irgendeine deutsche Sendung in der sich stark übergewichtige Menschen anmelden können und dort im Fernsehen dabei übertragen werden, wie sie ihr Gewicht verlieren.

Dabei wurde eine Person gezeigt, die gerade Sport macht. Alleine der Gesichtsausdruck der Person hat schlagartig Panik bei mir ausgelöst. Warum fragst du dich? Bei mehr Sport als ein solcher Mensch vertragen kann, dürfte es öfters vorkommen, dass sich diese aus Erschöpfung übergeben. Unterbewusst denke ich sofort an solche Szenarien und bekomme Angst und Panik. Natürlich betrifft das auch sämtliche Filme und Serien.

Es braucht sich im Film nur ein Charakter übergeben und ich reiße mir sofort das Headset vom Kopf und gucke woanders hin. Das passiert extrem schnell und instinktiv. Selbstverständlich schränkt mich die Emetophobie in vielen Bereichen ein.

Ich kann kaum noch aus der eigenen Wohnung, was meine Ärzte auch mit einer Agoraphobie erklären wollten. Ja definitiv habe ich die, aber meine größte Angst und das stärkste Symptom, welches ich habe, ist Übelkeit. Auch hat sich bei mir eine Essstörung entwickelt. Esse ich zu viel, etwas „Neues“ oder zu schnell wird mir schlecht. Dadurch, dass mir schlecht wird, bekomme ich Panik und das ist ein immer währender Kreislauf.

Selbst ein Joghurt oder ein Glas Apfelsaft ist Training für mich, da ich überall Angst habe, dass ich das Essen oder Trinken nicht vertrage und mir davon schlecht wird. Lebensmittel, welche über dem Mindesthaltbarkeitsdatum sind, schmeiße ich penibel weg. Ich gebe mal ein kleines Beispiel. In meinem Kühlschrank gibt es eine Packung Brot, welche bis zum 07.01.2022 haltbar ist. Punkt Mitternacht am 08. Januar würde ich diese in den Müll schmeißen, auch wenn der rationale Part von mir durchaus weiß, dass das Brot wahrscheinlich auch noch ein oder zwei Tage länger haltbar wäre. Aber die pure Panik vor dem Gefühl Übelkeit lässt mich jede Logik ausblenden.

Mein Köpfchen sagt: Ich muss erbrechen

Ich sollte mir mal als Therapieschritt ein Buch über Emetophobie kaufen. Ich habe mir das Buch Mein Köpfchen sagt: Ich muss erbrechen* von Michael Stefan Metzner bereits vor über einem halben Jahr gekauft und bislang vielleicht zehn Seiten gelesen.

Nicht, weil das Buch schlecht ist! Das Buch wird überall hochgelobt, nicht nur auf Amazon, sondern auch von Ärzten. Meine Psychotherapeutin war ebenfalls sehr begeistert.

Mir fällt es einfach extrem schwer, etwas in diesem Buch zu lesen. Spätestens nach einer Seite bekomme ich stärkere Konzentrationsschwierigkeiten.

Das Thema „mögliche Situationen“ könnte ich und bestimmt auch jeder andere Betroffene gefühlt ewig fortführen. Aber kommen wir zurück zu der eigentlichen Frage. Wie ist es, mit Emetophobie zu leben? Ich persönlich habe noch niemanden kennengelernt, der die gleiche Diagnose hat. Daher werde ich das jetzt mal auf meinen Erfahrungen basierend beschreiben.

Emetophobie ist wie ein Mensch ohne Seele. Du funktionierst und bist anwesend. Aber mehr auch nicht. Gefühlt alles, was du tust, machst du nur mit halbem Herzen, du bist mit den Gedanken immer woanders und du weißt ganz genau, dass du das Problem bist. Du weißt, dass alles eigentlich okay wäre und nichts passiert. Trotzdem vermeidest du, du schränkst dich selber ein.

Es fühlt sich manchmal wie ein Zwang an. Ich will etwas nicht tun, aber ich muss es trotzdem tun. Ich sitze gerade vor dem PC und schreibe an diesem Beitrag. Ich habe zwar seit Jahren kein Hungergefühl mehr, aber ich möchte etwas essen, habe eine Stulle in der Hand und schaffe es einfach nicht abzubeißen.

Irgendetwas in mir hält mich einfach davon ab. Vielleicht kann man das eher verstehen, wenn ich schreibe, dass eine innere Stimme mich davon abhält. Das Gefühl kennen vielleicht viele Angstpatienten, da die Vermeidung natürlich jede Angststörung / Phobie etc. betrifft.

Irgendwann ist immer Schluss

Kommen wir zum Ende. Ich habe bislang noch keinen zuverlässigen Weg gefunden, wie ich damit klarkomme oder das überwinde, außer immer wieder in die Situationen zu gehen. Immer wieder etwas zu essen, was ich eigentlich nicht möchte. Immer weiterzugehen und mich selbst zu diesen Dingen zu zwingen.

Ich fange diesen Monat sogar eine teure Hypnotherapie an. Ich persönlich habe so etwas noch nie gemacht und kann mir nur bedingt etwas darunter vorstellen. Wenn ich Ende des Monats damit durch bin, hoffe ich auf eine große Änderung. Ich bin etwas optimistisch gestimmt, wenigstens das ist mir noch geblieben. Ich werde diesen Beitrag so oft wie möglich aktualisieren und dir definitiv noch von der Hypnotherapie erzählen.

Ich kann dir nur versprechen, dass du nicht alleine bist oder falls du ein Angehöriger bist, auch du bist nicht alleine. Wenn du magst, kannst du mir deine Erfahrungen über die Kommentarfunktion oder per E-Mail mitteilen. Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit und hoffe, dass dir dieser Beitrag geholfen hat. Denk bitte immer daran, du bist nicht alleine – dein Maurice!

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